Das Ziel unserer Forschung ist die Nutzung molekularer Ionen und ihrer Fragmente - erzeugt in einem Massenspektrometer - für die Synthese von Materie in kondensierter Phase.

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Abb.1: Prinzip der präparativen Massenspektrometrie zur Herstellung neuartiger Moleküle und Materialien auf Oberflächen

Bruchstücke komplexer molekularer Ionen, die in Massenspektrometern meist mit dem Ziel der Strukturanalyse erzeugt werden, sind in der Regel schwer fassbare, häufig hochreaktive Teilchen mit ungewöhnlichen Strukturen. Solche Fragmentionen werden jedoch selten als Bausteine für die chemische Synthese neuer Verbindungen in Betracht gezogen. Es ist meine Zukunftsvision, Massenspektrometer nicht nur zur Analyse, sondern auch als programmierbare Synthesemaschinen einzusetzen, welche aus Fragmentionen nach dem Baukastenprinzip neue Moleküle und Materialschichten auf Oberflächen aufbauen, die sonst nicht oder nur schwer zugänglich sind. Etablierte Verfahren der Gasphasen-abscheidung, die für moderne Technologien (z. B. bei der Fertigung von Mikrochips) unverzichtbar sind, beschränken sich auf den Einsatz verdampfbarer, aber stabiler Moleküle (Präkursoren). Die präparative Massenspektrometrie eröffnet dagegen die Möglichkeit, massenselektierte Ionen aus der Gasphase abzuscheiden – von atomaren Ionen bis hin zu großen Metallkomplexen, Biomolekülen und deren Fragmenten.

Meine Nachwuchsgruppe untersucht seit 2020 die kontrollierte Abscheidung („Ion soft-landing“) von massenselektierten Fragmentionen auf Oberflächen. Hierzu forschen wir an (I) Elektrospray, (II) Erzeugung und Reaktivität hochreaktiver Fragmentionen, (III) kontrollierter Bindungsknüpfung und selektiven Reaktionen reaktiver Fragmente zur Molekülsynthese auf Oberflächen, (IV) Chemie in ladungsunausgeglichenen Oberflächenschichten und (V) Erzeugung von Funktionsmaterialien auf Oberflächen. Wir bringen unsere Expertise in koordinierten Forschungsprogrammen und Kooperationen mit außeruniversitären Partnerorganisationen ein.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Cover Angewandte Chemie 63 2024
Cover Angewandte Chemie 63 2024, Quelle: Angewandte Chemie

Elektrospray ist nicht nur eine Methode, um Ionen aus der Lösung in die Gasphase zu überführen, sondern auch um stark beschleunigte Reaktionen an den Oberflächen der geladenen Tröpfchen zu initiieren, die sich während des Elektrospray-Prozesses bilden. Wir haben kürzlich die Forschungsfelder „Reaktionsbeschleunigung in geladenen Mikrotropfen“ und „Ion soft-landing“ erfolgreich kombiniert, um Intermediate in hohen Ionenausbeuten aus dem Elektrospray-Prozess zu gewinnen und diese auf Oberflächen chemisch umzusetzen. [1] Auf diese Weise soll auch CO2 in nutzbaren Chemikalien gebunden werden. Unsere Forschung in diesem Bereich wird sich zukünftig auf Tröpfchenreaktionen von Permanentionen konzentrieren, welche bisher wenig erforscht sind.

 


zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Abb. 2: Massenspektrum, Isolation aller [B12(CN)11]– Ionen mit nominalem m/z-Wert von 416 in einer kryogenen Ionenfalle, in welche Neon eingelassen wurde
Abb. 2: Massenspektrum, Isolation aller [B12(CN)11]– Ionen mit nominalem m/z-Wert von 416 in einer kryogenen Ionenfalle, in welche Neon eingelassen wurde

Fragmentionen sind für uns wertvolle „Bausteine“. Wir nutzen verschiedene Methoden der „Computational Chemistry“ sowie unterschiedliche massenspektrometrische und gasphasenspektroskopische Methoden (internationales Koopera-tionsnetzwerk), um Fragmentionen grundlegend zu verstehen. Dies führte unter anderem zur Entdeckung sogenannter „superelektrophiler Anionen“. [2] Mit diesen Fragmenten konnten wir die Edelgaschemie erweitern: So konnten wir das erste stabile argonhaltige molekulare Anion bei Raumtemperatur erzeugen und Neon bis 50 K binden (Abb.2). [3,4] Weiterhin konnte die direkte Funktionalisierung gesättigter Alkane durchgeführt werden. [5,6] Derzeit werden unterschiedliche Radikalionen untersucht, um sie für Molekül- und Schichtsynthesen einzusetzen.

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Abb. 3: Analyseergebnisse, welche die Generierung neuer Stoffe durch Fragmentionendeposition nachweisen, a) massenspektrometrischer Nachweis eines Trianions, erzeugt durch Binden eines anionischen Fragments an ein Dianion, b) IR-spektroskopischer Nachweis und c) NMR-spektros-kopischer Nachweis des Ions [B12Br11N2]–
Abb. 3: Analyseergebnisse, welche die Generierung neuer Stoffe durch Fragmentionendeposition nachweisen, a) massenspektrometrischer Nachweis eines Trianions, erzeugt durch Binden eines anionischen Fragments an ein…

Durch die Deposition hochreaktiver anionischer Fragmente auf Schichten, welche Dianionen enthielten, konnten wir kovalent gebundene Trianionen ([B24I23]3−) erzeugen (Abb. 3a). [7] Die Synthese neuer Substanzen unter Verwendung unreaktiver „Rohstoffe“ wie N2 ist mit Fragmentionen möglich: Das Ion [B12Br11N2] wurde durch eine Ionen-Molekül-Reaktion des Fragments [B12Br11] mit N2 erzeugt, deponiert und mit IR- und NMR-Spektroskopie charakterisiert (Abb. 3b,c). Durch sequenzielles Landen dieses Anions mit Kationen erzeugten wir ein ladungsausgeglichenes, molekulares Salz auf der Oberfläche, welches in Folgereaktionen weiter-verwendet werden konnte. Somit wurde erstmals eine Ionen-Molekül-Reaktion in einem Massenspektrometer als Teil einer mehrstufigen Synthese realisiert. [8] Unsere zukünftige Forschung auf diesem Gebiet wird sich auf die Kontrolle der Selektivität reaktiver Fragmente in molekularen Schichten konzentrieren, wie zum Beispiel dem gezielten Anbinden an bestimmte funktionelle Gruppen. Hierzu liegen erste publizierte Ergebnisse vor [9] und es befinden sich weitere Publikationen in Vorbereitung.

Viele Modelle der Ionendeposition gehen von einer Entladung der Ionen beim Auftreffen auf eine leitende Oberfläche aus. Stabile molekulare Permanentionen können bei der Deposition jedoch geladen bleiben. Es ist intuitiv verständlich, dass eine kondensierte Schicht nicht nur aus Ionen einer Polarität bestehen kann. Dennoch bilden sich häufig sichtbare Schichten auf Oberflächen, wenn nur eine Ionensorte massenselektiert gelandet wird. [10] Wir untersuchen die in solchen Fällen auftretenden Elektronentransferprozesse zwischen deponierter Schicht und Oberfläche, die zum Ladungsausgleich führen. Hierzu gehören komplexe Reaktionen, z. B. Polymerisationen, und die Bildung von Gegenionen aus Hintergrundmolekülen (DFG-Gemeinschaftsprojekt).

zur Vergrößerungsansicht des Bildes: Abb. 4: a) Schematische Darstellung: STM Spitze und gelandeter Komplex auf der Oberfläche, b) Imaging und c) Rastertunnelspektroskopie (differenzielle Auftragung Strom vs. Spannung), für Details siehe Text
Abb. 4: a) Schematische Darstellung: STM Spitze und gelandeter Komplex auf der Oberfläche, b) Imaging und c) Rastertunnelspektroskopie (differenzielle Auftragung Strom vs. Spannung), für Details siehe Text

Wir erforschen die Deposition von unterkoordinierten Metallkomplexen zur Anbindung an oberflächengebundene Moleküle, wie „self-assembled monolayers“ (SAMs) und poröse Koordinationspolymere. Weiterhin wird die Stabilisierung von unterkoordinierten Metallkomplexen mit schwach koordinierenden Gegenionen auf Oberflächen untersucht. Mit diesen Methoden sollen neue Möglichkeiten für die Generierung (photo-)katalytisch aktiver Schichtmaterialien sowie für die Gastrennung und Sensorik eröffnet werden.  Die Funktionalisierung von Biomolekülen durch Anbindung von Fragmentionen wird zukünftig im Rahmen eines „Exploration Grants“ der Boehringer Ingelheim Stiftung untersucht werden. In Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung (IOM) erforschen wir „soft-landing“ von Polyoxometallat-Anionen mit spannungsresponsivem, mehrstufigem resistivem Schaltverhalten für potenzielle Anwendungen in der molekularen Elektronik. Abb. 4a zeigt schematisch einen gelandeten Wirt-Gast-Komplex während einer Rastertunnelmikroskopie-Untersuchung (STM). Abb. 4b zeigt STM-„Imaging“ einzelner gelandeter Teilchen und Abb. 4c zeigt die stufenweise Reduktion des Widerstandes gemessen anhand des Tunnelstroms zwischen Spitze und Oberfläche. [11] Die stufenweise Änderung des Widerstandes wird auf Reduktion der hochoxidierten Vanadiumzentren zurück-geführt. Im Rahmen eines Verbunds-forschungsprojektes in Vorbereitung ist Deposition entsprechender Schalteinheiten auf Nanoelektroden geplant.

[1] 
F. Yang, R. Urban, J. Lorenz, J. Griebel, N. Koohbor, M. Rohdenburg, H. Knorke, D. Fuhrmann, A. Charvat, B. Abel, V.A. Azov, J. Warneke*:
Control of Intermediates and Products by Combining Droplet Reactions and Ion Soft-Landin
Angew. Chem. Int. Ed. 2024, 63, DOI: 10.1002/ange.202314784.

[2]
M. Rohdenburg, M. Mayer, M. Grellmann, C. Jenne, T. Borrmann, F. Klemiss, V. A. Azov, K. R. Asmis, S. Grabowsky*, J. Warneke*:
Superelectrophilic Behavior of an Anion Demonstrated by the Spontaneous Binding of Noble Gases to [B12Cl11]-.
Angew. Chem. Int. Ed. 2017, 56, 7980–7985. DOI: 10.1002/anie.201702237.

[3]
M. Mayer, V. van Lessen, M. Rohdenburg, G.-L. Hou, Z. Yang, R. M. Exner, E. Aprà, V. A. Azov, S. Grabowsky, S. S. Xantheas, K.R. Asmis, X.-B. Wang*, C. Jenne*, J. Warneke*:
Rational Design of an Argon-Binding Superelectrophilic Anion.
Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 2019, 116, 8167–8172. DOI: 10.1073/pnas.1820812116.

[4]
M. Mayer, M. Rohdenburg, V. van Lessen, M. C. Nierstenhöfer, E. Aprà, S. Grabowsky, K. R. Asmis, C. Jenne*, J. Warneke*:
First Steps Towards a Stable Neon Compound: Observation and Bonding Analysis of [B12(CN)11Ne].
Chem. Commun. 2020, 56, 4591–4594. DOI: 10.1039/D0CC01423K.

[5]
Warneke*, M. Mayer, M. Rohdenburg, X. Ma, J. K.Y. Liu, M. Grellmann, S. Debnath, V. A. Azov, E. Apra, R. P. Young, C. Jenne, G.E. Johnson, H.I. Kenttämaa, K.R. Asmis*, J. Laskin*:
Direct Functionalization of C−H Bonds by Electrophilic Anions.
Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 2020, 117, 23374–23379. DOI: 10.1073/pnas.2004432117.

[6]
X. Ma, M. Rohdenburg, H. Knorke, S. Kawa, J. K. Y. Liu, E. Aprà, K. R. Asmis, V. A. Azov, J. Laskin, C. Jenne, H. I. Kenttämaa, J. Warneke*:
Binding of saturated and unsaturated C6-hydrocarbons to the electrophilic anion [B12Br11]: a systematic mechanistic study.
Phys. Chem. Chem. Phys., 202224, 21759–21772. DOI: 10.1039/D2CP01042A.

[7]
F. Yang, K. A. Behrend, H. Knorke, M. Rohdenburg, A. Charvat, C. Jenne, B. Abel, J. Warneke*:
Anion-Anion Chemistry with Mass-Selected Molecular Fragments on Surfaces.
Angew. Chem. Int. Ed. 2021, 60, 24910–24914. DOI: 10.1002/anie.202109249.

[8] M. Rohdenburg, Z. Warneke, H. Knorke, M. Icker, J. Warneke*:
Chemical Synthesis with Gaseous Molecular Ions: Harvesting [B12Br11N2] From a Mass Spectrometer.
Angew. Chem. Int. Ed. 2023, DOI: 10.1002/anie.202308600.

[9]
S. Kawa, J. Kaur, H. Knorke, Z. Warneke, M. Wadsack, M. Rohdenburg, M. C. Nierstenhöfer, C. Jenne, H. I. Kenttämaa, J. Warneke*:
Generation and Reactivity of the Fragment Ion [B12I8S(CN)] in the Gas Phase and on Surfaces.
Analyst 2024, 149, 2573-2585. DOI: 10.1039/D3AN02175K.

[10]
 J. Warneke*, M. E. McBriarty, S. L. Riechers, S. China, M. H. Engelhard, E. Aprà, R. P. Young, N. M. Washton, C. Jenne, G. E. Johnson, J. Laskin*: 
Self-Organizing Layers from Complex Molecular Anions.
Nat. Commun. 2018, 9, 1889. DOI: 10.1038/s41467-018-04228-2.

[11] 
F. Yang, M. Moors, D. A. Hoang, S. Schmitz, M. Rohdenburg, H. Knorke, A. Charvat, X.-B. Wang, K. Yu Monakhov*, J. Warneke*:
On-Surface Single-Molecule Identification of Mass-Selected Cyclodextrin-Supported Polyoxovanadates for Multistate Resistive-Switching Memory Applications.
ACS Appl. Nano Mater. 20225, 14216–14220. DOI: 10.1021/acsanm.2c03025.

 

 

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