Die Chemie an der Universität Leipzig blickt auf eine lange Tradition und namhafte Alumni zurück.
- Die Anfänge
- Chemie in Pleißenburg, Fridericianum und Kolbe-Bau (18./19.Jh.)
- Wilhelm Ostwald und die Leipziger Schule der Physikalischen Chemie
- Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Nachkriegszeit
- Die Mineralogie
- Die Sektion Chemie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts
- Nach der deutschen Wiedervereinigung
Die Anfänge
Die Chemie blickt auf eine mehr als 300-jährige Entwicklung an der im Jahre 1409 gegründeten Leipziger Universität zurück. Als erster Professor extraordinarius für Chymie wurde im Jahre 1668 MICHAEL HEINRICH HORN (1668-1681) an der Medizinischen Fakultät berufen.
Chemie in Pleißenburg, Fridericianum und Kolbe-Bau (18./19.Jh.)
Mit kurzen Unterbrechungen folgten ihm als Extraordinarien JOHANN C. SCHAMBERG (1699-1706) und MARTIN NABOTH (1707-1721) und die Ordinarien für Chemie JOHANN C. SCHEIDER (1710-1712), ADAM F. PETZOLD (1722-1761), ANTON RIEDIGER (1762-1783), CHRISTIAN G. ESCHENBACH (1784-1830), OTTO B. KÜHN (1830-1863) und OTTO L. ERDMANN (1830-1835) an der Medizinischen Fakultät. Das erste Chemische Universitäts-Laboratorium wurde 1804/1805 von Christian G. Eschenbach in den Kellerräumen der Pleißenburg angesiedelt, auf deren Standort sich heute das Neue Rathaus befindet. Im Rahmen einer Universitätsreform 1835 wurde das Ordinariat für (Technische) Chemie mit OTTO L. ERDMANN (1835-1869) in die Philosophische Fakultät überführt, und damit begann eine rasche, eigenständige und erfolgreiche Entwicklung der Wissenschaftsdisziplin Chemie an der Universität Leipzig. Otto L. Erdmann war in vier Amtsperioden Rektor der Universität, gründete das Journal für praktische Chemie (1834) , stand im engen wissenschaftlichen Kontakt mit Justus von Liebig in Gießen bzw. München und verwirklichte 1843 den Neubau des damals in Deutschland modernsten Chemielaboratoriums (Chymicum, Fridericianum) an der Bürgerschule 3. Es wurde 1943 durch einen Bombenangriff völlig zerstört, und heute befindet sich dort die zentrale Universitätsmensa.
Die großen Leistungen der Leipziger Chemie sind mit klangvollen Namen verbunden: HERMANN KOLBE (1865-1884) hat u.a. eine Salicylsäuresynthese entwickelt, die die Grundlage zur Herstellung des allseits genutzten Medikaments „Aspirin“ ist. Das neue, moderne Chemische Laboratorium „Kolbe-Bau“ (1868) in der Waisenhausstraße (später in Liebigstraße umbenannt) zog Chemiestudenten aus ganz Deutschland an. Sein Nachfolger JOHANNES WISLICENUS (1885-1902), danach ARTHUR HANTZSCH (1903-1930) und dessen Nachfolger BURCKHARDT HELFERICH (1930-1945) gehörten zu den produktivsten und bekanntesten Chemikern ihrer Zeit, die in diesem Gebäudeensemble (mit Hörsaal) arbeiteten und wohnten.
Wilhelm Ostwald und die Leipziger Schule der Physikalischen Chemie. Das Laboratorium für Angewandte Chemie
Während GUSTAV HEINRICH WIEDEMANN (1871-1887), bekannt durch das Wiedemann-Franz’sche Gesetz, das erste Ordinariat für Physikalische Chemie an der Universität Leipzig innehatte und dann an das Physikalische Institut wechselte, wurde durch WILHELM OSTWALD (1887-1906), den Mitbegründer der Physikalischen Chemie und der „Leipziger Schule der Physikalischen Chemie“ mit dem 1898 eingeweihten Gebäude des Physikalisch-chemischen Instituts Leipzig zu einem Mekka der Physikochemiker aus aller Welt. Seine nachhaltigen Leistungen, die von ihm erkannten naturwissenschaftlichen Gesetze, besonders zu Grundlagen der elektrolytischen Dissoziation und zur Katalyse, wurden 1909 mit dem Nobelpreis für Chemie gewürdigt. Von 1887 bis 1898 leitete er das II. Chemische Laboratorium im Gebäude Brüderstraße 35 (seit 2009 „Historische Stätte der Chemie“), das ursprünglich das Landwirtschaftliche Institut beherbergte und in dem die Professur für Agrikulturchemie mit WILHELM KNOP (1866-1887) ihren Sitz hatte. Als Wilhelm Ostwald 1898 das für ihn neuerbaute Physikalisch-chemische Institut bezog, in dem ab 1906 auch sein Nachfolger MAX LE BLANC (1906-1933) und danach KARL FRIEDRICH BONHOEFFER (1934-1946) wirkte, beherbergte das Gebäude Brüderstraße 35 das dritte Ordinariat, das „Laboratorium für Angewandte Chemie“, mit ERNST OTTO BECKMANN (1897-1912). Er ist durch die Entwicklung der Methoden zur Molekulargewichtsbestimmung und die „Beckmannsche Umlagerung“ allen Chemiestudierenden ein Begriff. Sein Nachfolger CARL PAAL (1912-1929) widmete sich kolloidalen Metallen und der Pharmazeutischen Chemie, und erst 1938 löste sich KARL HUGO BAUER (1926-1942) mit der Gründung des Instituts für Pharmazeutische Chemie vom Verbund der anderen chemischen Institute, wie auch die später gegründeten Institute für Biochemie, die zur Medizinischen Fakultät bzw. den Biowissenschaften, heute „Lebenswissenschaften“, wechselten.
Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Nachkriegszeit
Viele weitere bedeutende Chemiker wirkten im beschriebenen Zeitraum in den Leipziger Chemischen Instituten: genannt seien die Extraordinarien der anorganischen und analytischen Chemie SCHÄFER (1917-1922), FRANZ HEIN (1923-1942), ARTHUR SCHLEEDE (1932-1936), HANS KAUTSKY (1936-1945), BURGHARD CARLSOHN (1938-1945), der organischen Chemie HANS STOBBE (1898-1928), GUSTAV REDDELIN (1920-1938), FRIEDRICH WEYGAND (1930-1945), HELLMUT BREDERECK (1939-1942), der physikalischen Chemie: JULIUS WAGNER (1901-1924), CARL DRUCKER (1903-1933), ROBERT LUTHER (1904-1908), KARL FREDENHAGEN (1906-1923), KARL SCHAUM (1908-1914), JOHANN SCHALL (1909-1937), WILHELM C. BÖTTGER (1910-1937), FRITZ WEIGERT (1914-1935), FRIEDRICH W. JOST (1937-1943), der technischen Chemie: ANTON WEDDIGE (1878-1902), ERNST von MEYER (1878-1893), BERTHOLD RASSOW (1902-1935), JOHANNES SCHEIBER (1938-1945).
Die Zeit des Nationalsozialismus, die Zustände während des Krieges und die durch Bombardierung verursachte Zerstörung der Chemiegebäude 1943 sowie die zwangsweise Verbringung von Professoren, darunter fast aller der Chemie und einiger Mitarbeiter, im Juni 1945 in die amerikanische Besatzungszone waren eine gravierende Zäsur. Beim Neuanfang nach 1945 wirkten kurzeitig KARL FRIEDRICH BONHOEFFER (bis 1946) und besonders die Professoren LEOPOLD WOLF (1945/47 -1961, Anorganische Chemie), WILHELM TREIBS (1951-1961, Organische Chemie), HERBERT STAUDE (1947-1959, Physikalische Chemie) und später EBERHARD LEIBNITZ (1951-1968, Technische Chemie). Das Ordinariat für Chemie, formal bis 1949 besetzt mit BURCKHARDT HELFERICH, wurde 1951 in die beiden Ordinariate für Anorganische und Organische Chemie, zugleich als Institute, getrennt. Sie zogen in das zwischen 1949 und 1951 neu erbaute Chemiegebäude Liebigstraße 18 ein, während das Institut für Physikalische Chemie im teilweise wieder aufgebauten Nordflügel des Gebäudes Linnéstraße 2, das 1998 den Namen „Wilhelm Ostwald-Institut“ erhielt, verblieb. Das Institut für Technische Chemie und Teile des Instituts für Anorganische Chemie verblieben im Gebäude Brüderstraße 35. Die Chemischen Institute gehörten fortan zur Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät.
In der Leitung der Institute folgten HEINZ HOLZAPFEL (1961-1968, Anorganische Chemie), MANFRED MÜHLSTÄDT (1961-1968, Organische Chemie) und GERHARD GEISELER (1959-1968, Physikalische Chemie).
Die Mineralogie
MINERALOGIE, KRISTALLOGRAPHIE (und PETROGRAPHIE) nahmen ab 1843 mit der Berufung von KARL FRIEDRICH NAUMANN (1843-1870) eine eigenständige Entwicklung innerhalb der Philosophischen Fakultät bzw. Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und gingen ab 1968 institutionell mit der CHEMIE zusammen. Die Wissenschaftsgebiete sind jedoch bis heute autark. Zu ihren bedeutenden Vorgängern an der Universität Leipzig gehören GEORGIUS AGRICOLA, Pionier der Montanwissenschaften, der hier von 1514 bis 1518 sein Wissen erwarb, und CHRISTIAN SAMUEL WEISS, Begründer der mathematisch fundierten Kristallographie, der von 1796 an hier studierte, ab 1803 Vorlesungen zu Naturwissenschaften abhielt und 1809 auf eine Professur für Physik berufen wurde. Er wechselte 1810 an die neugegründete Universität Berlin. Das Institut für Mineralogie hat sich weiter unter FERDINAND ZIRKEL (1870-1909), FRIEDRICH RINNE (1909-1928); KARL-HERRMANN SCHEUMANN (1928-1945), HERBERT PÜHRER (1946-1960) und HERMANN NEELS (1960-1968) mit weltweiter Anerkennung profiliert.
Danach wurde das Fachgebiet Mineralogie in die Sektion Chemie eingegliedert. Auf HERMANN NEELS, bis 1978 dort tätig, folgten PETER PAUFLER (1978-1992) und nach der Neugründung des Instituts für Mineralogie, Kristallographie und Materialwissenschaft am 1.12.1993 KLAUS BENTE (1993-2011) und OLIVER OECKLER. Das Mineralogische Institut befand sich bis zur Zerstörung im Jahre 1943 in Gebäuden der Liebigstraße und hat seitdem seinen Sitz in einem umfunktionierten ehemaligen Schulgebäude in der Scharnhorststraße 20. Einen besonderen Stellenwert nahm dabei stets die MINERALOGISCHE SAMMLUNG ein.
Die Sektion Chemie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts
Im Zuge einer Hochschulreform für alle Universitäten und Hochschulen in der DDR wurde am 15. Juni 1968 durch Zusammenführung der genannten Institute die SEKTION CHEMIE gebildet. Gründungsdirektor war SIEGFRIED HAUPTMANN (1968-1972), gefolgt von den ernannten Sektionsdirektoren Profs. ROLF SCHÖLLNER (1972-1976), MANFRED WEIßENFELS (1976-1980), EHRENFRIED BUTTER (1980-1988) und GERHARD WERNER (1988-1990). Aus zunächst fünf Forschungskollektiven: Festkörperchemie und Kristallographie; Heterocyclen und Metallchelate; Aliphaten und Alicyclen; Chemische Bindung und zwischenmolekulare Wechselwirkungen; Spurenanalyse erfolgte 1972 eine strukturelle Gliederung in vierzehn Arbeitsgruppen einschließlich der Kristallographie, die 1982 wieder zu acht Wissenschaftsbereichen: Anorganische Chemie; Organische Chemie; Technische Chemie; Physikalische Chemie; Analytische Chemie; Kristallographie; Methodik des Chemieunterrichts strukturiert wurden. Alle Forschungskollektive bzw. Arbeitsgruppen bzw. Wissenschaftsbereiche waren sehr eng in auftraggebundener Forschung mit chemischen Großbetrieben verbunden. „Lehrkollektive“ waren zuständig für bestimmte Lehrbereiche des für alle Chemie-Sektionen der DDR gültigen des neu strukturierten Lehrprogramms. Zu Professoren wurden berufen: HEINZ HOLZAPFEL (1960, AC); WOLFGANG LORENZ (1961, PC), MANFRED MÜHLSTÄDT (1962, OC); SIEGFRIED HAUPTMANN (1964, OC); GÜNTHER LANGHAMMER (1964, PC), HORST MÖHLE (1966, MC), EBERHARD HOYER (1967, AC) ARMIN MEISEL (1968, PC), MANFRED WEIßENFELS (1969, OC); JOHANNA FRUWERT (1970, PC); KONRAD QUITZSCH (1970, PC); ROLF SCHÖLLNER (1970, TC); EHRENFRIED BUTTER (1972, AC); ROLF BORSDORF (1975, AnC), GERHARD WERNER (1976,AnC); RICHARD MAHRWALD (1976, TC), HORST HENNIG (1977, AC, Rektor von 1987-1990), GERHARD MANN (1977, OC), PETER PAUFLER (1978, Kr); KLAUS SCHULZE (1979, OC); KARL.HERMANN STEINBERG (1980, TC); PHILIPP THOMAS (1982, AC); WERNER ENGEWALD (1985, AnC), RAINER HERZSCHUH (1985, AnC) GÜNTHER KÜHN (1985, Kr); KLAUS DITTRICH (1987, AnC); JÜRGEN HOFFMANN (1988, PC); PETER BRÄUER (1989, PC); DETLEV REHOREK (1989, AC) und CORNELIUS WEISS (1989, ThC).
1989 wurde der Neubau „Technikum Analytikum“ für die Analytische Chemie, Technische Chemie, Anorganische Chemie und Physikalische Chemie eingeweiht.
Nach der deutschen Wiedervereinigung
Nach der deutschen Vereinigung im Oktober 1990 wurde CORNELIUS WEISS in geheimer Wahl Sektionsdirektor. Wegen der Wahl zum Rektor der Universität Leipzig und der Übernahme seines ersten Rektorats folgte bereits im März 1991 sein gewählter Stellvertreter, HORST WILDE, als Direktor des aus der Sektion gebildeten FACHBEREICHS CHEMIE bis Ende 1993. Diese Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs war der Beginn einer fundamentalen Neuorientierung, die besonders die Personalsituation mit Entlassungen und Neuberufungen und die Angleichung an das in der alten BRD funktionierende System von Forschung und Forschungsfinanzierung, neuer organisatorischer Strukturen, die Angleichung der Lehrprogramme und die Aufnahme nationaler und internationaler Wissenschaftsbeziehungen betraf. Aus den am 2. Dezember 1993 neu- bzw. wiedergegründeten Instituten für Analytische Chemie; Anorganische Chemie; Organische Chemie; Physikalische und Theoretische Chemie; Technische Chemie; Mineralogie, Kristallographie und Materialwissenschaft sowie dem zeitweise angegliederten Interdisziplinären Institut für Natur- und Umweltschutz, dem Bereich Chemiedidaktik und der Betriebseinheit Technisch-ökonomischer Bereich wurde am 14. Januar 1994 auf der Grundlage des Sächsischen Hochschulgesetzes vom 04. August 1993 unter dem ersten Rektorat des Professors für Theoretische Chemie, CORNELIUS WEISS, die Fakultät für Chemie und Mineralogie der Universität Leipzig gebildet. Später wurden noch das Institut für Bioanalytische Chemie, das sich in der 2003 gegründeten BIOCITY befindet, und das 2012 aus dem Bereich Methodik gebildete Institut für Didaktik der Chemie eingegliedert. Die Fakultät bekam als eine von 14 Fakultäten der Universität die Promotions- und Habilitationsrechte. Der erste demokratisch gewählte Dekan war JOACHIM REINHOLD. Ihm folgten als gewählte Dekane HELMUT PAPP (1996-1999), PETER WELZEL (1999-2001), EVAMARIE HEY-HAWKINS (2001-2002), HARALD MORGNER (2002-2005), HELMUT PAPP (2005-2007), HARALD KRAUTSCHEID (2007-2010), CHRISTOPH SCHNEIDER (2010-2013), DETLEV BELDER (2013-2016), NORBERT STRÄTER (2016-2019), ROGER GLÄSER (2019-2022), KNUT ASMIS (2022), CHRISTOPH SCHNEIDER (seit 2022). Gemeinsame Professuren wurden mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und dem Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung geschaffen. Das bereits 1993 genehmigte Vorhaben „Neubau Chemie“ wurde 1999 mit der Übergabe eines funktional und architektonisch modernen Gebäudes abgeschlossen.
Eine ausführliche Beschreibung zur Geschichte der Chemie an der Universität Leipzig enthält das anlässlich des 600-jährigen Gründungsjubiläums verfasste Buch „Chemie an der Universität Leipzig. Von den Anfängen bis zur Gegenwart“ (Hg: Lothar Beyer, Joachim Reinhold, Horst Wilde), Passage-Verlag Leipzig, 2009.